Import-One-Stop-Shop IOSS: Ein Papiertiger?

27.01.2022

Am 1. Juli 2021 trat in der EU das Verfahren Import-One-Stop-Shop in Kraft. Eine Sonderregelung auf dem Gebiet der Umsatzsteuer, welche sich an Unternehmer richtet, die Verkäufe von aus dem Drittlandgebiet eingeführten Gegenständen mit einem Sachwert von höchstens 150 Euro an Privatpersonen in der Europäischen Union (EU) tätigen. Somit richtet sich diese Regelung auch an Schweizer Unternehmen – zumindest in der Theorie.

Seit dem 1. Juli 2021 müssen Lieferungen aus einem Drittland – z.B. aus der Schweiz – an Privatpersonen in der EU regelmäßig im Bestimmungsland besteuert werden. Dies gilt ab dem ersten Cent. Zu diesem Zweck stellt die EU den (Online-)Händlern den sogenannten Import-One-Stop-Shop (kurz: IOSS) zur Verfügung, welcher ermöglicht, für (in der EU im Sinne von Art. 14 Abs. 4 Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie 2006/112/EG) sogenannte „Fernverkäufe“ mit einem Sachwert von maximal 150 EUR in die EU auf die Einfuhrumsatzsteuererhebung beim Zoll zu verzichten und gleichzeitig die Erhebung der Umsatzsteuer zu vereinfachen (bei Gegenständen, deren Wert 150 Euro übersteigt, ist das Verfahren IOSS nicht möglich).

Die Anwendung von IOSS ist freiwillig. Verzichtet ein Unternehmen auf die Anwendung, ist die Nutzung einer Sonderregelung („Special Arrangement“) optional möglich. In diesem Fall wird die Einfuhrumsatzsteuer pro Monat durch den Beförderer (z.B. Post) von den Sendungsempfängern vereinnahmt und an die Zollverwaltung weitergeleitet. Postbetreiber oder Kurierdienste können dem Kunden zudem zusätzlich eine Abfertigungsgebühr in Rechnung stellen, um die nun erforderlichen Kosten für (Zoll-)Formalitäten bei der Einfuhr von Waren abzudecken. Kunden in der EU erhalten die bestellte Ware dann erst nach Zahlung der gesamten Abgaben per Nachnahme. Dies kann zur Folge haben, dass der Kunde die Annahme des betreffenden Pakets wegen den unverhältnismässig hohen Mehrkosten ablehnt. In der Praxis wird sich dieser für den Kunden intransparente Handlungsablauf kaum durchsetzen.

Nimmt das Unternehmen weder an IOSS noch an der Sonderregelung teil, findet das Standardverfahren Anwendung, bei dem die zoll- und steuerrechtlichen Verpflichtungen in jedem Unionsmitgliedstaat (in welchen es liefert) getrennt zu erfüllen sind, d.h. es muss sich in jedem EU-Land, in das es an Endverbraucher liefert, umsatzsteuerlich registrieren lassen.

Somit spricht alles dafür, sich als Unternehmen für IOSS zu registrieren. So viel sei gesagt zur Theorie, doch nun zur Praxis bzw. zum „Kleingedruckten“. Im Gegensatz zur Registrierung für die Sonderregelung One-Stop-Shop OSS muss ein Schweizer Unternehmen bei der Registrierung für IOSS einen Vertreter bestimmen, wobei es sich um eine im entsprechenden Registrierungsland ansässige Person handeln muss. Wird IOSS z.B. in Deutschland beantragt (zuständige Stelle: Bundeszentralamt für Steuern), muss die Vertretung ihren Sitz somit in Deutschland haben. Diese Vertretung agiert nebst der Erfüllung der Verpflichtungen gemäß der Sonderregelung IOSS im Namen und für Rechnung des Unternehmers vor allem auch als Steuerschuldner!

Fakt: Der Vertreter ist zugleich auch Steuerschuldner!!

Nicht umsonst sprechen wir im Titel dieses Artikels von einem Papiertiger. Wir haben lange nach einem Unternehmen gesucht, das bereit wäre, sich als Vertreter von an IOSS interessierten Schweizer Unternehmen zur Verfügung zu stellen – bisher vergeblich. Denn, seien wir ehrlich, würden Sie für ein Ihnen unbekanntes Unternehmen als Steuerschuldner haften? Wohl kaum. Deshalb ist der IOSS für nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmen (mit Ausnahme von Norwegen, mit dem die EU ein Abkommen über gegenseitige Amtshilfe geschlossen hat) vorderhand leider nur ein Papiertiger.


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