Werkvertragliche Lieferungen: Quo Vadis ESTV? Teil 2

02.07.2021

In der MWST-INFO 2018/03 hatten wir die ESTV für den damals vorgesehenen Wortlaut zur Abgrenzung von werkvertraglichen Lieferungen einerseits und Beförderungs-/Versandlieferungen andererseits hinterfragt. Der Wortlaut des Entwurfs wurde am 13.12.2018 leider unverändert in die MWST-Info 06 überführt. Mittlerweile ist einige Zeit vergangen und wir haben praktische Erfahrungen sammeln können. Anlass genug, das Thema erneut aufzugreifen.

Zum besseren Verständnis seien hier zunächst die relevanten Passagen der MWST-Info 06 dargestellt:

Werkvertragliche Lieferungen MI 06 Ziffer 3.1
Es handelt sich um Lieferungen beweglicher oder unbeweglicher Gegenstände, die aufgrund eines Werkvertrages oder Auftrages neu angefertigt oder vor der Ablieferung noch bearbeitet werden. Als Bearbeitung gelten nach Art. 3 Bst. d Ziffer 2 MWSTG alle Arbeiten an Gegenständen, auch wenn diese dadurch nicht verändert, sondern bloss geprüft, geeicht, reguliert, in der Funktion kontrolliert oder in anderer Weise behandelt werden (z.B. Ändern, Reparieren, Reinigen, Schneeräumen, Abbrechen von Gebäuden, Einstell-, Inbetriebsetzungs-, Service- und Unterhaltsarbeiten an Anlagen und Steuerungen [auch im Rahmen von Abonnementsverträgen]). Auf das Ausmass der Bearbeitung kommt es nicht an. Es ist auch nicht erforderlich, dass Material verwendet, ersetzt oder hinzugefügt wird.

Zum Ort einer solchen werkvertraglichen Lieferung äussert sich die ESTV in der gleichen Ziffer wie folgt:

Wenn beispielsweise ein Gegenstand durch den Lieferanten selbst oder für dessen Rechnung durch einen Dritten installiert, repariert, montiert oder sonst wie bearbeitet wird, beginnt die Lieferung - ungeachtet der Inbetriebnahme - mit der Aufnahme der Tätigkeit am Ort der Installation, der Reparatur oder der Montage. Die Lieferung gilt in der Folge als dort erbracht, wo die werkvertragliche Leistung vorgenommen beziehungsweise wo der Gegenstand abgeliefert wird (Art. 7 Abs. 1 Bst. a MWSTG). Dabei ist ohne Bedeutung, ob die Inbetriebnahme durch den Lieferanten oder den Abnehmer erfolgt.

Per 13.12.2018 wurde diese Ziffer mit folgendem Zusatz ergänzt:

Ist die Montage/Installation lediglich eine Nebenleistung (Art. 19 Abs. 4 MWSTG) zu einer Beförderungs-/ Versandlieferung, gilt die Lieferung als dort erbracht, wo die Beförderung oder der Versand beginnt.

Genau hier setzen wir ein erstes Mal mit unserer (neuerlichen) Kritik an: Gemäss diesem ergänzten Wortlaut ist nun für jeden Geschäftsfall individuell zu prüfen, ob eine Bearbeitung (Montage/Installation) eine Nebenleistung darstellt. Das Ausmass der Bearbeitung ist demnach offenbar also doch massgebend: Geht das Ausmass der Bearbeitung nämlich über eine Nebenleistung hinaus, liegt eine werkvertragliche Lieferung (mit Ort der Lieferung am Ort der Bearbeitung) vor. Geht sie indessen nicht über eine Nebenleistung hinaus, ist von einer Beförderungs-/Versandlieferung (mit Ort der Lieferung am Ort des Transportbeginns) auszugehen. 

Wir halten fest: Für die Frage, ob eine werkvertragliche Lieferung vorliegt, spielt das Ausmass der Bearbeitung keine Rolle (blosses physisches Einwirken reicht bereits aus), es sei denn, es spiele irgendwie halt eben doch eine Rolle…

Damit sind auch die letzten Klarheiten beseitigt. Wie soll sich ein mehrwertsteuerlicher Laie in solchen Wortlauten zurechtfinden?

Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Beispiele, welche die ESTV unter Ziffer 2.3 der MI 06 zu den Beförderungs-/ Versandlieferungen nennt. 

So stellt die Lieferung eines Tisches durch ein ausländisches Möbelhaus ans Domizil des Schweizer Kunden noch eine Beförderungslieferung (mit Ort der Leistung im Ausland) dar, wenn der Tisch beim Kunden lediglich zusammengesetzt, jedoch nicht individuell an die räumlichen Gegebenheiten angepasst wird. Das Zusammensetzen stellt nach Auffassung der ESTV eine (unwesentliche) Nebenleistung dar.

Demgegenüber soll namentlich die Installation einer Software durch ein ausländisches Unternehmen am Computer des inländischen Kunden eine werkvertragliche Lieferung (mit Ort der Leistung im Inland) sein. Die ESTV ist der Meinung, dass das Tippen auf der Tastatur des Computers zur Implementierung der Software mehr als eine Nebenleistung darstellt.

Die Frage muss nun sein, welche Kriterien konkret heranzuziehen sind, um eine Bearbeitung als unwesentlich (im Sinne einer Nebenleistung) oder wesentlich (über eine Nebenleistung hinausgehend) zu definieren. Die ESTV lässt das offen. Zu denken wäre wohl aber insbesondere an Zeitaufwand, Intensität der Bearbeitung, Verwendung von Werkzeugen und Apparaten usw.

In diesem Licht betrachtet mutet es mehr als eigenartig an, dass ein Tippen auf einer Tastatur mit geringer Intensität und ohne jeglichen Werkzeugeinsatz als wesentlich, das Zusammensetzen eines Tisches mit deutlich höherer Intensität und gleichzeitiger Verwendung von Werkzeugen als unwesentlich gelten soll.

Der dritte Kritikpunkt betrifft die zeitliche Wirkung des am 13.12.2018 publizierten Wortlauts. Gemäss ESTV handelt es sich dabei um eine Praxispräzisierung und nicht um eine Praxisänderung1. Das bedeutet, dass der am 13.12.2018 publizierte Wortlaut immer schon – also ab Inkrafttreten des MWSTG per 1.1.2010 – galt.

Gerade ausländische Unternehmen haben sich in der Vergangenheit in der Annahme, dass sie werkvertragliche Lieferungen im Inland erbringen (weil sie die von ihnen gelieferten Gegenstände bei ihren Schweizer Kunden noch in irgendeiner Weise bearbeitet haben), ins MWST-Register eintragen lassen. Nach heutigem Kenntnisstand wäre eine solche Registrierung gar nicht erforderlich gewesen, wenn die beim Kunden erfolgte Bearbeitung lediglich eine Nebenleistung war. Sowohl das Bestellen eines Steuervertreters in der Schweiz als auch das Leisten einer Kaution gegenüber der ESTV hätten sich erübrigt. Das geflügelte Wort «Im Nachhinein ist man immer gescheiter» verfängt hier für einmal nicht, weil man es vorher, d.h. vor dem 13.12.2018, gar nicht hätte besser wissen können. 

Geht man der Sache tiefer auf den Grund, ergeben sich noch viel weitreichendere Konsequenzen:

  • Erbringt ein ausländischer Lieferant an seine Schweizer Kunden werkvertragliche Lieferungen im Inland, ist er Importeur der von ihm in die Schweiz verbrachten Gegenstände. Nur der ausländische Lieferant hat im Rahmen seiner Steuerpflicht in der Schweiz das Recht, die bei der Einfuhr entrichtete Einfuhrsteuer als Vorsteuer zurückzufordern. Im Gegenzug stellt er seinem Kunden – der Ort seiner Lieferung liegt im Inland – die Inlandsteuer in Rechnung. 
  • Erbringt ein ausländischer Lieferant an einen Schweizer Kunden eine Beförderungs-/Versandlieferung, ist sein Schweizer Kunde Importeur der in die Schweiz verbrachten Gegenstände. Nur der Schweizer Kunde kann die Einfuhrsteuer als Vorsteuer geltend machen. Der ausländische Lieferant stellt seinem Kunden – der Ort seiner Lieferung liegt im Ausland – keine Inlandsteuer in Rechnung.

Diese Regelung gilt als Folge der Praxispräzisierung auch für die von ausländischen Lieferanten in der Vergangenheit erbrachten Lieferungen, bei denen sich jetzt herausstellt, dass es nicht werkvertragliche, sondern Beförderungs-/ Versandlieferungen waren. Es wäre also theoretisch denkbar, dass ausländischen Lieferanten mit dem Argument, dass sie gar nicht Importeur waren, die Vorsteuerabzüge im Zusammenhang mit der Einfuhrsteuer für noch nicht verjährte Steuerperioden rückwirkend aberkannt werden. Im Gegenzug würde die an die Schweizer Kunden verrechnete Inlandsteuer mit Verweis auf Art. 27 MWSTG («eine ausgewiesene Steuer ist eine geschuldete Steuer») nicht erstattet, solange sie diesen nicht gutgeschrieben wird.

Es darf aber angenommen bzw. gehofft werden, dass die ESTV für zurückliegende Geschäftsfälle die gebotene Vernunft walten und die Vergangenheit ruhen lässt.

Schlussfolgerung/Fazit
Fanden sich auf einer Rechnung eines ausländischen Lieferanten an seinen Schweizer Kunden Begriffe wie «Montage» oder «Installation» konnte vor der Publikation der Praxispräzisierung praktisch ausnahmslos von die Steuerpflicht begründenden werkvertraglichen Lieferungen im Inland ausgegangen werden. Dem ist nicht mehr so. Als Berater sind wir nun gezwungen herauszufinden, was genau für eine Bearbeitung erfolgt. In welchen Fällen nun aber eine Bearbeitung einer Nebenleistung entspricht oder darüber hinausgeht, bleibt – nicht zuletzt wegen unscharfen, nicht nachvollziehbaren Abgrenzungskriterien und der geringen Anzahl publizierter Beispiele – vage. Der offensichtliche Widerspruch in den Ziffern 2.3 und 3.1 der MI 06 verstärkt diesen Eindruck zusätzlich.

Insgesamt fehlt die steuersystematische Logik: Nie zuvor wurde der die «Nebenleistungen» thematisierende Art. 19 Abs. 4 MWSTG für die Bestimmung des Ortes einer Leistung herangezogen. Vielmehr dient diese Bestimmung der Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistungen, es geht also dabei um die Art der Leistung.

Am gravierendsten ist aber die fehlende Gesetzesmässigkeit, weil die Praxispräzisierung nicht im Einklang mit Art. 3 Bst. d Ziffer 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Bst. a MWSTG steht.

Es bleiben viele Fragen. Was heisst z.B. «individuelle Anpassung an die räumlichen Gegebenheiten»? Eigentlich Stoff genug für Teil 3… wir werden sehen.
 

1  Schaltfläche «Zusätzliche Informationen» unter Ziffer 2.3 in der webbasierten Publikation MI 06 (https://www.gate.estv.admin.ch/mwst-webpublikationen/public/pages/taxInfos/cipherDisplay.xhtml?publicationId=1016479&componentId=1020498


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