Aus der Praxis - Trinkgelder als Teil der Bemessungsgrundlage bei der MWST: Entwarnung

25.01.2024

In unseren MWST-Seminaren im November/Dezember des abgelaufenen Jahres haben wir darüber informiert, dass Trinkgelder inskünftig in gewissen Fällen steuerbar sein könnten. Lange Zeit sah es danach aus, als ob die ESTV an ihrem diesbezüglichen Standpunkt festhalten würde. Kurz vor Weihnachten ist sie dann von ihrem Standpunkt abgerückt.

Für unsere Mandantin, die sich mit grossen Umsetzungsproblemen konfrontiert sah, war dieser Bescheid ein schönes und überraschendes Weihnachtsgeschenk. Weil es aber letztlich ein Geschenk an alle Branchen ist, in denen Trinkgelder üblich sind, wollen wir das Geschenk hiermit gerne weiterreichen.

Um sich der weitreichenden Bedeutung dieser Fragestellung bewusst zu werden, bedarf es eines Blickes zurück zu ihrer Entstehung.

Unsere Mandantin ist ein Gastronomieunternehmen, welches sich aufgrund des steten Rückgangs des Bargeldverkehrs entschieden hat, den ganzen Zahlungsverkehr bargeldlos («cashless») abzuwickeln. Die Gäste können ihre Konsumationen also nicht mehr bar bezahlen. Infolgedessen wird das mit Kreditkarte bezahlte Trinkgeld via Lohnbuchhaltung den Mitarbeitenden wieder ausbezahlt. Trinkgeld ab einem gewissen Umfang im Verhältnis zum Lohn eines Mitarbeitenden ist sozialversicherungspflichtig. Durch die Auszahlung via Lohnbuchhaltung kann unsere Mandantin sicherstellen, dass ihre Mitarbeitenden mit dem «richtigen» Verdienst bei Krankheit, Unfall und Arbeitslosigkeit versichert sind und dies sich auch auf ihre Altersrenten positiv auswirkt.

Der Umfang der Trinkgelder lässt sich, solange sie bar entrichtet werden, nicht exakt bestimmen. Im Rahmen einer bargeldlosen Bezahlung lassen sie sich nun genau beziffern. Ein Umstand, der nun auch den Behörden, die sich bisher – mangels Kenntnis genauer Zahlen – nur am Rande mit dieser Frage beschäftigten, entgegenkommt.

Vorliegend geht es somit nicht nur um die Frage der MWST, sondern auch um Sozialabgaben und direkte Steuern.

Zuerst macht es Sinn, auf die bestehenden rechtlichen Grundlagen und die publizierte Verwaltungspraxis zurückzugreifen.

AHV

Art. 7 Bst. e AHVG und Art. 15 AHVV sowie Randziffer 2044 der Wegleitung zum massgebenden Lohn (WML) äussern sich sinngemäss wie folgt:

Trinkgelder und Bedienungsgelder gehören nur so weit zum massgebenden Lohn, als sie einen wesentlichen Teil des Lohnes darstellen.


Bis heute nicht abschliessend geklärt ist, was als wesentlicher Teil des Lohnes zu verstehen ist. Erste Abklärungen unserer Mandantin mit den zuständigen Behörden lassen darauf schliessen, dass ein solcher bei 10% oder mehr des Jahreslohns gegeben sein dürfte.

Direkte Steuern

Art. 17 Abs. 1 DBG besagt folgendes:

Trinkgelder sind Bestandteil des steuerbaren Lohns.


Diese an sich klare und absolute Aussage wird durch Randziffer 32 der Wegleitung zum Lohnausweis relativiert:

Trinkgelder müssen (nur) dann (im Lohnausweis) angegeben werden, wenn sie einen wesentlichen Teil des Lohnes ausmachen.


Auch hier fehlt es bis heute an einer exakten Definition der Wesentlichkeit. Es darf indessen nach heutigem Kenntnisstand davon ausgegangen werden, dass die Steuerbehörden die Wesentlichkeitsgrenze gleich wie die Sozialabgaben handhaben (werden).

MWST

Zunächst definiert Art. 3 Bst. f MWSTG das Entgelt wie folgt:

Entgelt: Vermögenswert, den der Empfänger oder die Empfängerin oder an seiner oder ihrer Stelle eine Drittperson für den Erhalt einer Leistung aufwendet.


Auf den ersten Blick könnte daraus geschlossen werden, dass Trinkgelder immer Bestandteil des steuerbaren Entgelts sind, wendet eine Kunde diese doch zusätzlich auf. Die Frage aber ist, ob er sie tatsächlich für den Erhalt der Leistung aufwendet oder das Trinkgeld aus anderen Motiven entrichtet.

Die Frage kann aber letztlich offenbleiben, weil die ESTV ihre diesbezügliche Verwaltungspraxis in der MWST-Branchen-Info 08 unter Ziffer 8.3 näher umschrieben hat:


Trinkgelder sind nicht Teil des steuerbaren Entgelts, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • der vom Gast versprochene Betrag muss vollumfänglich an die Mitarbeitenden ausbezahlt werden;
  • die Auszahlung der Trinkgelder an die Mitarbeitenden muss vom steuerpflichtigen Hotelbetrieb belegt werden können;
  • die Trinkgelder dürfen vom Hotelbetrieb nicht erfolgswirksam verbucht werden;
  • das Trinkgeld muss separat in Rechnung gestellt werden;
  • es darf in der Rechnung keine Steuer auf dem Trinkgeld ausgewiesen werden.


Anlässlich einer ersten Besprechung vertrat die ESTV die Ansicht, dass der erste Aufzählungspunkt nicht mehr erfüllt sei, sobald den Angestellten die persönlichen Sozialabgabebeiträge von den Trinkgeldern abgezogen würden, was immer dann der Fall sei, wenn diese sozialabgaberechtlich als massgebender Lohn gälten.

Wir hielten dem entgegen, dass dies eine zu enge Sicht der Dinge sei, flössen doch den Angestellten auch die zunächst abgezogenen Sozialabgabenbeiträge später in Form einer Rente durchaus wieder zu. Das Trinkgeld werde damit den Angestellten zwar nicht unmittelbar, aber zumindest mittelbar vollumfänglich ausbezahlt. Dieses Argument griff zunächst nicht.

Wäre die ESTV bei ihrer Auffassung geblieben, hätten sich viele Umsetzungsprobleme ergeben. Zu erwähnen wären beispielsweise:

  • ob die Wesentlichkeitsgrenze erreicht wird,
    • ist für jede einzelne angestellte Person abzuklären;
    • lässt sich erst nachträglich (am Ende des Jahres) feststellen (es erfolgt also ein Blick zurück);
    • muss aber für eine korrekte Rechnungstellung im Voraus bekannt sein (Ausweis der MWST); es muss also ein Blick nach vorne – in die Glaskugel – erfolgen;
  • die Verteilung der Trinkgelder auf die einzelnen Steuersätze (z.B. Take away mit alkoholischem Getränk)
     
  • Darstellung im Lohnausweis (nebst dem Abzug der Sozialabgaben muss auch die MWST erwähnt werden)


Nach erneuter Überprüfung der Angelegenheit hat uns die ESTV kurz vor Weihnachten mitgeteilt, dass sie die Trinkgelder auch dann noch als vollumfänglich an die Angestellten ausbezahlt betrachtet, wenn auf diesen ein Abzug der Sozialabgaben erfolgt.

Unsere Köpfe rauchten schon ob allen anstehenden Umsetzungsproblemen. Und dann die (vorweihnachtliche) Erlösung. Es freut uns sehr, dass letztendlich eine vernünftige und vor allem auch praktikable Lösung einer allzu engen Auslegung des Buchstabens vorgezogen wurde.
 


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