Abschaffung der Industriezölle per 1.1.2024: alles einfacher? Ein Trugschluss.

25.01.2024

Den meisten dürfte aus Zeitungsberichten oder über die Website des Bundesamtes für Zoll- und Grenzsicherheit (BAZG) bekannt sein, dass die Zölle auf Industrieprodukten («Industriezölle») auf den 1.1.2024 weggefallen sind. Ob die wegfallenden Zölle von den importierenden Unternehmen – wie vom Parlament beabsichtigt – in Form von Preisreduktionen an die Konsumenten weitergegeben werden, wird sich zeigen. Dieser Beitrag soll jedoch nicht dieser Frage nachgehen, sondern aufzeigen, was Schweizer Unternehmen hinsichtlich der Weitergabe des präferenziellen Ursprungs inskünftig beachten müssen.

Vorab ist festzuhalten, dass es sich bei der Abschaffung der Industriezölle um eine einseitige Massnahme der Schweiz handelt. Das bedeutet, dass Staaten, die Schweizer Industrieprodukte importieren, weiterhin Einfuhrzölle erheben werden, wenn sie nicht durch ein Freihandelsabkommen zur Gewährung von Zollpräferenzen verpflichtet sind. Ebenso gilt es zu betonen, dass Agrarzölle weiterhin bestehen bleiben. Das bedeutet, dass insbesondere für die Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie Lebens- und Futtermitteln auch inskünftig Zölle erhoben werden.

Obgleich ein Zollabbau – ob ein- oder gegenseitig – handelspolitisch grundsätzlich zu begrüssen ist, sollten sich Schweizer Unternehmen bewusst sein, dass sich für die Ursprungskalkulation bzw. für die Weitergabe des präferenziellen Ursprungs nicht viel ändert. Es wäre falsch, zu glauben, dass Industrieprodukte, die aufgrund des einseitigen Zollabbaus durch die Schweiz zollfrei importiert werden können, automatisch Ursprungsprodukte in Sinne eines Freihandelsabkommens sind, die in der Ursprungskalkulation wie Schweizer Ursprungswaren betrachtet werden können (sog. Ursprungskumulation).

Zum besseren Verständnis nachfolgend ein Beispiel:

Die BACKOFEN AG in Biel stellt Industriebacköfen und Komponenten zu solchen her. Sie verkauft Ersatzteile für Industriebacköfen der Zolltarifnummer 8438.9000 an die in Lille (F) ansässige BOULANGERIE SA. Folgendes ist über die Ersatzteile bekannt:

Vormaterialien:

zollfrei importiert aus Taiwan

30'000.-

zollfrei importiert aus Dänemark

11'000.-

Total Vormaterialien

41'000.-

+ Bearbeitungs- und Gemeinkosten

40'000.-

+ Gewinnzuschlag

19’000.-

Verkaufspreis, ex works

100'000.-


Die Ersatzteile qualifizieren dann als Ursprungserzeugnisse der Schweiz im Sinne des Freihandelsabkommens Schweiz-EU, wenn die folgende Listenregel eingehalten wird:

«Herstellen bei dem der Wert aller verwendeten Vormaterialien (drittländischen Ursprungs) 40% des Ab-Werk-Preises der hergestellten Ware nicht überschreitet».


Die Vormaterialien aus Taiwan gelten – ungeachtet dessen, dass sie zollfrei in die Schweiz importiert werden können – in jedem Fall als drittländisch.

Eine entscheidende Rolle kommt nun den aus Dänemark importierten Vormaterialien zu. Sie gelten dann als drittländisch, wenn vom dänischen Lieferanten kein Ursprungsnachweis ausgestellt wurde (die zollfreie Einfuhr in die Schweiz ändert daran nichts). Diesfalls wären alle verwendeten Vormaterialien als drittländisch zu betrachten und ihr Anteil am Verkaufspreis betrüge 41%. Die BACKOFEN AG dürfte bei der Ausfuhr der fertigen Ersatzteile nach Frankreich kein Ursprungszeugnis ausstellen. In der Folge müsste in Frankreich ein Zoll von EUR 1'700.- (1.7% des Zollwertes) entrichtet werden.

Ist der dänische Lieferant indessen berechtigt, ein Ursprungszeugnis auszustellen, können die dänischen Vormaterialien als solche mit Schweizer Ursprung betrachtet werden (Kumulation).

Der Anteil der Vormaterialien drittländischen Ursprungs betrüge in dieser Konstellation 30%.

Die BACKOFEN AG dürfte bei der Ausfuhr nach Frankreich ein Ursprungszeugnis ausstellen. In der Folge müsste in Frankreich kein Zoll entrichtet werden.

Es ist daher dringend zu empfehlen, dass bei der Einfuhr von Vormaterialien in Form von Industrieprodukten, für welche der ausländische Lieferant ein Ursprungszeugnis ausgestellt hat, in den Einfuhrzollanmeldungen auch weiterhin einen Präferenzantrag zu stellen, selbst wenn die zollfreie Einfuhr auch ohne einen solchen möglich ist. Elektronische Einfuhrveranlagungsverfügungen (eVV) mit Präferenzantrag oder ein Ursprungsnachweis selbst dienen als Nachweise (sog. Vorbelege) dafür, dass die importierte Ware für die Inanspruchnahme der Kumulation nicht als drittländisch gilt.

Schlussfolgerung

Bleibt ein in die Schweiz importiertes Industrieprodukt nach erfolgter Einfuhr definitiv in der Schweiz (z.B. weil es in der Schweiz dem Endkonsum zugeführt wird), muss eine «Ursprungskette» nicht (mehr) nachgewiesen werden.

In allen anderen Fällen – soweit auch nur die theoretische Möglichkeit einer späteren Wiederausfuhr (sei es unverändert oder als Bestandteil eines neuen Produkts) besteht – gelten die bisherigen Anforderungen an die Vorbelege unverändert. Ausländische Lieferanten sind daher anzuhalten, weiterhin Ursprungsnachweise auszustellen, soweit sie dazu berechtigt sind, auch wenn sie für die zollfreie Einfuhr in die Schweiz nicht unmittelbar erforderlich sind. Für die Ursprungsweitergabe im Rahmen einer Kumulation sind sie jedoch oft unabdingbar.
 


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