Der aktuelle Gerichtsentscheid

30.08.2023

Gemeinwesen wie Gemeinden und Kantone konnten bisher in der Regel auf ihren Investitionen keine Vorsteuern geltend machen. Die ESTV erachtete die Verwendung von Steuergeldern wie die Gewährung einer Subvention, welche zu einer Kürzung des Vorsteuerabzuges führte. Das Bundesgericht hat nun in zwei kürzlich ergangenen Urteilen eine andere Sichtweise eingenommen. Im Leitentscheid vom 22. November 2022 (2C_2/2022) hat das Bundesgericht die Vorsteuern auf einer Investition einer nicht spezialfinanzierten Dienststelle zugelassen. Dieses Urteil wurde mit Urteil vom 3. April 2023 (9C_736/2022) für spezialfinanzierte Dienststellen bestätigt. Nachfolgend gehen wir auf das Leiturteil näher ein.

Sachverhalt

Die Gemeindeversammlung der politischen Gemeinde U. hiess sowohl einen Projektierungs- wie auch einen Baukredit für ein neues Gemeindehaus gut. Während des Baus des neuen Gemeindehauses hat die Gemeinde beschlossen, die gemeindeinternen und externen Weiterbelastungen der Raumkosten bzw. die Vermietung des neuen Gemeindehauses freiwillig im Sinne von Art. 22 MWSTG der Mehrwertsteuer zu unterstellen. Die Gemeinde U. ist in verschiedene Dienststellen unterteilt, wovon acht unter je eigener MWST-Nummer im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen sind. Unter diesen acht Dienststellen befindet sich die Dienststelle «Liegenschaftsverwaltung», die sich per 1. Oktober 2012 freiwillig in das Register der Steuerpflichtigen hat eintragen lassen, damit sie die Option nach Art. 22 MWSTG ausüben konnte. Anlässlich einer Kontrolle belastete die ESTV die geltend gemachten Vorsteuern im Umfang von rund CHF 2 Mio. zurück und machte eine Steuerumgehung geltend. Im Einspracheentscheid änderte die ESTV dann die Begründung für die Steuernachbelastung und machte nunmehr geltend, die für den Bau des Gemeindehauses verwendeten Mittel seien als Subventionen zu qualifizieren und es sei eine Vorsteuerkürzung von 100% vorzunehmen. Das Bundesverwaltungsgericht hiess die Beschwerde der Dienststelle der Gemeinde U. gut. Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erhebt die ESTV Beschwerde beim Bundesgericht.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht verweist auf ein früheres Urteil, in welchem es bereits festgehalten hat, dass Subventionen und andere öffentlich-rechtliche Beiträge ebenso wie Einlagen in Unternehmen nicht als Teil des Entgelts gelten (Art. 18 Abs. 2 lit.a und e MWSTG) und nicht als Entgelte geltende Mittelflüsse grundsätzlich zu keiner Vorsteuerabzugskürzung führen (vgl. Art. 33 MWSTG). Die Ausnahme von diesem Grundsatz, wie sie nach Art. 33 Abs. 2 MWSTG (namentlich) für Subventionen und andere öffentlich-rechtliche Beiträge gilt, mithin also die Vorsteuerabzugskürzung bei diesen Mittelflüssen, steht im Widerspruch zum Grundsatz der Wettbewerbsneutralität der Mehrwertsteuer. Bei der Auslegung von Art. 18 Abs. 2 MWSTG ist demnach im Auge zu behalten, dass die Ausnahme von Art. 33 Abs. 2 MWSTG systemwidrige Konsequenzen nach sich zieht. Der Ausdruck "Subventionen und andere öffentlich-rechtliche Beiträge" ist nicht ausdehnend zu verstehen. "Subventionen und andere öffentlich-rechtliche Beiträge" zeichnen sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch dadurch aus, dass es sich um Zuwendungen handelt, welche beim Empfänger eine Einnahme bilden und über die er damit verfügen kann, ohne dass er dem Zuwendenden dafür Beteiligungsrechte einräumen muss. Bei Einlagen handelt es sich demgegenüber nach allgemeinem Sprachgebrauch um Einbringungen in eine Gesellschaft mit dem Ziel, dieser gestützt auf das Beteiligungsverhältnis Eigenkapital zuzuwenden. Beim Beteiligten, welcher die Einlage leistet, führt diese zu einer blossen Vermögensumschichtung. Es liegt somit weder beim Zuwendenden noch beim Empfänger eine Einnahme vor, sondern der Zuwendende erhält für die Einlage Beteiligungsrechte. Das Bundesgericht hält fest, dass Subventionen nach gewöhnlichem Sprachgebrauch finanzielle Unterstützungsbeiträge darstellen, die der Staat an Personen oder Gruppierungen ausrichtet, die in der Regel privat sind. Solange das Gemeinwesen die Mittel nicht ausgibt, sondern lediglich von einer auf eine andere Dienststelle umbucht, richtet es also nach gewöhnlichem Sprachgebrauch keine Subvention aus. Daran ändert auch nichts, dass bei Gemeinwesen die autonomen Dienststellen Steuersubjekt sind. Umbuchungen von Mitteln innerhalb des gleichen Gemeinwesens stellen keine Subventionen dar, die zu einer Vorsteuerkürzung führen würden.

Fazit

Dieses Gerichtsurteil hat grosse Auswirkungen auf die Abwicklung der MWST in den Gemeinwesen. Bei vielen Sachverhalten, bei denen die steuerpflichtigen Gemeinwesen bisher eine Vorsteuerkürzung vorgenommen haben oder hätten vornehmen müssen ist nunmehr keine solche mehr notwendig. Dies dürfte bei vielen Gemeinwesen, die bisher mit der Pauschalsteuersatzmethode abrechnen, die Frage auslösen, ob auf Beginn der nächsten Steuerperiode zur effektiven Methode gewechselt werden soll, sofern dies möglich ist. Auch könnte sich für gewisse Dienststellen, bei denen eine (freiwillige) Steuerpflicht wegen der Vorsteuerkürzung nicht interessant war, eine Unterstellung unter die Steuerpflicht lohnen. Die Gemeinwesen dürfen auch ihre Dienststellen so organisieren, dass es aus Sicht der MWST vorteilhaft ist. Allerdings sind allzu kreative Lösungen nicht empfehlenswert, da das Bundesgericht klar dargelegt hat, dass in solchen Fällen eine Steuerumgehung vorliegen könnte.
 


Verwandte Artikel

02.05.2024

Seminar- und Kursangebote

Mehr lesen

02.05.2024

Offene Stelle

Mehr lesen