Der aktuelle Gerichtsentscheid

14.06.2023

Wird eine bisher gewerblich genutzte Liegenschaft zurückgebaut, um dann auf diesem Grundstück eine Wohnüberbauung zu realisieren, dann stellt sich die Frage, ob auf den Rückbaukosten die Vorsteuern geltend gemacht werden können. Dies ist insbesondere dann zu klären, wenn das Grundstück vor dem Rückbau an einen Investor für die Realisierung der Wohnüberbauung verkauft wird.

Sachverhalt

Die B. AG war Eigentümerin des Grundstücks Nr. xx, auf welchem sich u.a. eine Fabrikliegenschaft befand, in der die B. AG bis 2017 ihrer operativen Tätigkeit nachgegangen ist. Im August 2018 wandte sich die B. AG an die ESTV und teilte mit, dass sie auf dem genannten Grundstück die operative Tätigkeit eingestellt habe und nun das Areal im Sinne einer Zwischennutzung mit Option an Dritte vermieten werde. Die Mietverträge der Zwischennutzung waren ursprünglich bis im März 2020 befristet. Das bisher der Industriezone zugewiesene Grundstück war bereits rechtskräftig umgezont worden und die B. AG beabsichtigte eine Wohnüberbauung zu entwickeln und das Grundstück anschliessend an einen Investor zu veräussern. Allerdings wurde das Grundstück bereits im November 2018 an die A. AG verkauft. Der Verkauf des Grundstücks erfolgte mit Option und die A. AG übernahm die optierten Mietverträge, deren Laufzeit verlängert wurde. Während das Bundesverwaltungsgericht mit Verweis auf das Urteil des Bundesgerichts vom 27. Oktober 2017 (2C_166/2016) die Beschwerde der A. AG guthiess und den Vorsteuerabzug auf den Rückbaukosten zuliess, hat das Bundesgericht, auf Beschwerde der ESTV hin, mit Urteil vom 13. September 2022 (2C_876/2020) den Vorsteuerabzug auf den Rückbaukosten verneint.

Erwägungen des Gerichts

Die steuerpflichtige Person kann im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich laufend die von ihr wirtschaftlich getragenen Vorsteuern abziehen. Soll die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs eingeschränkt werden, bedarf es hierfür einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage. Diese findet sich in Art. 29 MWSTG, wonach kein Anspruch auf Vorsteuerabzug besteht bei Leistungen, die für die Erbringung von Leistungen, die von der Steuer ausgenommen sind und für deren Versteuerung nicht optiert wurde, verwendet werden. Die Korrektur des Vorsteuerabzugs bzw. das fehlende Vorsteuerabzugsrecht setzt damit voraus, dass die unternehmerisch tätige steuerpflichtige Person eine steuerausgenommene Ausgangsleistung erbringt, für welche sie keine Option im objektiven Sinn ausübt bzw. für welche sie gar keine Option ausüben kann und wofür sie eine vorsteuerbelastete Eingangsleistung verwendet.

In Bezug auf die vorsteuerbelasteten Rückbaukosten geht das Bundesgericht davon aus, dass ein Gebäude im Verlauf seines Bestehens die drei Phasen «Erstellung», «Betrieb» und «Rückbau» durchläuft und die Zugehörigkeit zu einer dieser drei Phasen aus der Sicht des jeweiligen Grundeigentümers zu beurteilen ist. Die vorsteuerbelasteten Rückbaukosten sind, soweit sie vom bisherigen Grundeigentümer vorgenommen werden, unabhängig von der beabsichtigen Nutzung des Neubaus zum Vorsteuerabzug zuzulassen, soweit der Grundeigentümer das Gebäude zuvor im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit für steuerbare Zwecke genutzt hat. Anders ist die Situation zu beurteilen, wenn ein neuer Eigentümer die Liegenschaft erwirbt, abbricht und neuen Zwecken zuführt. In dem Fall gehört der Abbruch aus Sicht des Eigentümers zur Lebensphase «Erstellung». Da die A. AG als neuer Eigentümer auf dem Grundstück eine Wohnüberbauung realisieren wollte, wird der Vorsteuerabzug auf den Rückbaukosten nicht gewährt. Die Zwischennutzung durch den neuen Eigentümer erachtet das Bundesgericht als bloss akzessorische Nebentätigkeit, die nicht gewichtig genug ist, als dass gesagt werden könnte, der neue Eigentümer baue das von ihm zuvor im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit für steuerbare Zwecke genutzte Gebäude zurück. Das Bundesgericht hält aber auch fest, dass es durchaus «Zwischennutzungen» geben kann, die eine ausreichende steuerbare Nutzung darstellen und der Rückbau als letzte Phase dieser Nutzung qualifiziert werden könnte.

Fazit

Dieses Gerichtsurteil zeigt einmal mehr, dass bei einer Veräusserung einer Liegenschaft viele mehrwertsteuerrelevante Fragen bestehen. Soll eine bisher für steuerbare (gewerbliche) Leistungen genutzte Liegenschaft abgebrochen und an deren Stelle eine Wohnüberbauung realisiert werden, dann stellt sich die Frage, zu welcher Phase der Rückbau gezählt wird. Das Bundesgericht hat sich klar geäussert, dass ein Rückbau durch den bisherigen Eigentümer der letzten Phase «Rückbau» zugeordnet werden kann und damit der Vorsteuerabzug auf den Abbruchkosten zulässig ist. Nicht so klar ist die Sachlage, wenn die Liegenschaft vor dem Abbruch verkauft wird. Wird nach dem Verkauf gleich mit dem Abbruch begonnen, dann ist dieser klar der Phase «Erstellung» (der Wohnüberbauung) zuzuordnen und ein Vorsteuerabzug nicht möglich. Problematisch ist die Frage dann, wenn die bisherigen Liegenschaften vom neuen Eigentümer bis zur Realisierung der Wohnüberbauung noch vorübergehend einer steuerbaren Zwischennutzung zugeführt werden. Nach dem hier besprochenen Urteil des Bundesgerichts führt ein Abbruch nach Beendigung der Zwischennutzung nicht dazu, dass der Abbruch als letzte Phase der Zwischennutzung gilt. Leider gibt das Urteil des Bundesgerichts aber keine klaren Indikationen, wann eine «Zwischennutzung» durch den «neuen» Eigentümer ausreichend ist, damit der Abbruch der bisherigen Liegenschaften der letzten Phase «Rückbau» und wann der Phase «Erstellung» zugeordnet wird. Diese Frage muss jeweils im Einzelfall geprüft werden. In Bezug auf den Rückbau der bisherigen Liegenschaften ist es deshalb aus Sicht der MWST angebracht, wenn immer der alte Eigentümer vor dem Verkauf den Abbruch vornimmt. Damit würden aber sinnvolle Zwischennutzungen von Liegenschaften verunmöglicht.
 


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