Aufhebung der Praxis zum «Wirtschaftlichen Neubau»

17.04.2023

Bei umfassenden Sanierungen einer Liegenschaft wurden in der Vergangenheit nach der von gewissen kantonalen Steuerverwaltungen angewendeten Praxis zum «Wirtschaftlichen Neubau» teilweise sämtliche Kosten vollumfänglich als Anlagekosten eingestuft. Dadurch konnten die Kosten bei der Veranlagung der Einkommenssteuer gar nicht in Abzug gebracht werden.

Das Bundesgericht hat die Praxis zum «Wirtschaftlichen Neubau» im brandneuen Urteil – abweichend von seiner früheren Rechtsprechung – aufgehoben (vgl. Urteil 9C_677/2021 vom 23. Februar 2023). Es ist somit nicht mehr zulässig, wenn bei einer umfassenden Sanierung in pauschaler Weise sämtliche Kosten den wertvermehrenden Anlagekosten zugeordnet werden. Vielmehr sind die ausgeführten Arbeiten im Detail auf ihren objektiven-technischen Charakter zu untersuchen und steuerlich zu qualifizieren. Da es sich um eine höchstrichterlich entschiedene Praxisänderung handelt, ist diese ab sofort auf alle noch nicht definitiv veranlagten Fälle anzuwenden.

Die Liegenschaftskosten lassen sich in drei Kategorien einteilen:

1) Werterhaltende Unterhaltskosten

Die werterhaltenden Liegenschaftskosten, welche den früheren Zustand der Liegenschaft wiederherstellen, sind im Rahmen der Veranlagung der Einkommenssteuer als Abzug geltend zu machen.

2) Wertvermehrende Anlagekosten

Wertvermehrende Anlagekosten, welche aufgrund einer funktionalen Betrachtungsweise dazu führen, dass das Grundstück eine qualitative Verbesserung und damit eine Wertsteigerung erfährt, können im Rahmen der Veranlagung des Grundstückgewinns geltend gemacht werden, wenn das Grundstück verkauft wurde.

3) Ausnahmsweise abzugsfähige Kosten

Neben der Abgrenzung zwischen werterhaltenden und wertvermehrenden Kosten sehen die Steuergesetze eine Reihe von Ausnahmen vor, welche diese Grenze verwischen und aus anderen – meist politisch motivierten – Gründen zu einer Abzugsfähigkeit bei der Einkommenssteuer führen:

  • Investitionen, die dem Energiesparen und dem Umweltschutz dienen: Diese Kosten werden den abzugsfähigen Unterhaltskosten gleichgestellt, unabhängig davon, ob sie zu einer Wertsteigerung der Liegenschaft führten oder lediglich den früheren Zustand wiederherstellen.
     
  • Kosten denkmalpflegerischer Arbeiten: Kosten denkmalpflegerischer Arbeiten, die die steuerpflichtige Person aufgrund gesetzlicher Vorschriften, im Einvernehmen mit den Behörden oder auf deren Anordnung hin vorgenommen hat, können steuerlich geltend gemacht werden, soweit diese selbst getragen wurden.
     
  • Rückbaukosten im Hinblick auf einen Ersatzneubau: Seit dem 1. Januar 2020 werden Rückbaukosten im Hinblick auf einen Ersatzneubau den abzugsfähigen Unterhaltskosten gleichgestellt.
     

Wenn Sie Liegenschaftskosten bei der Einkommenssteuer geltend machen wollen, müssen Sie also den Nachweis erbringen, dass diese entweder werterhaltenden Charakter haben oder unter eine der aufgeführten Ausnahmen subsumiert werden können. Wenn dieser Nachweis nicht erbracht werden kann, wird aufgrund der Beweislastverteilung im Steuerrecht zu Ihren Ungunsten davon ausgegangen, dass es sich um nicht abzugsfähige Kosten handelt.
 


Verwandte Artikel

02.05.2024

Seminar- und Kursangebote

Mehr lesen

02.05.2024

Offene Stelle

Mehr lesen