Aktienrecht – Sanierung von Kapitalgesellschaften

17.04.2023

Neue Pflichten für den Verwaltungsrat bei drohender Zahlungsunfähigkeit sowie Präzisierungen beim «hälftigen Kapitalverlust» und bei der Überschuldung.

Im Rahmen der Aktienrechtsreform wurden auch die entsprechenden Artikel betreffend Zahlungsunfähigkeit (neu Art. 725 OR), Kapitalverlust (neu Art. 725a OR), Überschuldung (neu Art. 725b OR) und Aufwertung (neu 725c OR) überarbeitet bzw. neu gegliedert.

Schon bis anhin musste der Verwaltungsrat bei einem hälftigen Kapitalverlust und bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung entsprechende Massnahmen ergreifen.

Zahlungsunfähigkeit

Ab dem 1. Januar 2023 muss neu auch die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft überwacht werden. Und droht die Gesellschaft zahlungsunfähig zu werden, so ergreift der Verwaltungsrat Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit. Sofern notwendig muss der Verwaltungsrat auch noch weitere Massnahmen zur Sanierung ergreifen oder beantragt der Generalversammlung solche, sofern in ihrem Zuständigkeitsbereich. Absatz 3 dieses Artikels hebt zusätzlich hervor, dass der Verwaltungsrat mit der gebotenen Eile handelt.

Von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit spricht man, wenn die Gesellschaft über eine längere Zeitdauer voraussichtlich nicht oder kaum in der Lage sein wird, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen (z.B. Zahlungen an Lieferanten, Löhne, Sozialversicherungen). Saisonale oder vorübergehende Zahlungsengpässe gelten hingegen nicht als Zahlungsunfähigkeit.

Die Massnahmen, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit zu verhindern sind komplex. Die Ursache der Zahlungsunfähigkeit ist zu analysieren. Es ist ein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der zu ergreifenden Massnahmen, ob die Zahlungsunfähigkeit aufgrund eines Ausfalls eines wesentlichen Projektpartners erfolgte, aber das Geschäftsmodell grundsätzlich funktioniert, oder ob das Geschäftsmodell schon seit mehreren Jahren kränkelt und negative Ergebnisse und negative Cashflows generiert.

Nicht selten ist die drohende Zahlungsunfähigkeit das weitaus akutere Problem als eine Überschuldung. Ein Betrieb mit Überschuldung, aber genügend Liquidität lässt sich in der Regel «einfacher» sanieren als umgekehrt.

Hälftiger Kapitalverlust

Neu wurde präzisiert, dass für die Berechnung des hälftigen Kapitalverlusts nur das Aktienkapital und die nicht zurückzahlbaren (gesperrten) gesetzlichen Reserven betrachtet werden.

Beim hälftigen Kapitalverlust muss der Verwaltungsrat Massnahmen zur Beseitigung des Kapitalverlusts ergreifen und soweit erforderlich, weitere Massnahmen zur Sanierung einleiten oder er beantragt der Generalversammlung solche, sofern in ihrem Zuständigkeitsbereich.

Der «hälftige Kapitalverlust» basiert auf der letzten Jahresrechnung. Profitierte die Gesellschaft bis anhin von einem Opting-Out, muss diese Jahresrechnung durch einen zugelassenen Revisor eingeschränkt geprüft werden, bevor sie der Generalversammlung zur Genehmigung vorgelegt wird. Die Revisionspflicht entfällt, wenn ein Gesuch um Nachlassstundung eingereicht wird. Der Verwaltungsrat und der Revisor müssen auch hier mit der gebotenen Eile handeln.

Was ist eine Überschuldung?

Von einer Überschuldung spricht man, wenn das Fremdkapital grösser ist als die Aktiven. Oder umgekehrt – wenn das Eigenkapital negativ ist.

Eine Überschuldung passiert in der Regel nicht einfach so über Nacht, sondern zeichnet sich teilweise über mehrere Jahre mit stetig negativen Ergebnissen ab. Nebst den langfristigen Massnahmen zur Anpassung des Geschäftsmodells, gibt der Gesetzgeber auch eine gewisse Hilfestellung zur kurzfristigen Beseitigung einer Überschuldung. Aber Achtung: einige Massnahmen sind nur Bilanzkosmetik und keine echte Sanierung, u.a. die Aufwertung von Grundstücken und Beteiligungen.

Zur Behebung einer Überschuldung dürfen Grundstücke und Beteiligungen an Unternehmen über ihre Anschaffungs- oder Herstellkosten aufgewertet werden, wenn der wirkliche Wert höher ist. Der Aufwertungsbetrag muss gesondert unter den gesetzlichen Gewinnreserven als sogenannte Aufwertungsreserve ausgewiesen werden. Dieser Vorgang muss durch einen zugelassenen Revisor geprüft werden.

Man realisiert sofort, wir haben hier weder mehr Geld noch das Geschäftsmodell fit gemacht. Wir haben lediglich Zeit gewonnen, durch die Aufwertung von Aktiven und Verbuchung des Aufwertungsbetrags im Eigenkapital.

Darlehen mit Rangrücktritt gemäss Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1: Eine der häufigsten kurzfristig wirkenden Massnahmen bei Überschuldungen, ist das Darlehen mit Rangrücktritt. Entweder auf bestehenden Darlehen oder auf neu zu gewährenden Darlehen, wenn zusätzlich flüssige Mittel benötigt werden. Die Gewährung eines Rangrücktrittes ist aber noch lange keine Sanierungsmassnahme, man verhindert damit nur den Gang zum Richter. Die Ursachen der finanziellen Schieflage müssen dringend analysiert und beseitigt werden.

Ein Darlehen mit Rangrücktritt bleibt ein Darlehen und ist entsprechend als Fremdkapital auszuweisen. Für die Berechnung der Überschuldung wird dieses Darlehen jedoch ausgeklammert (Aktiven minus Fremdkapital) bzw. als Eigenkapital betrachtet (negatives vs. positives Eigenkapital).

Mit dem Rangrücktritt erklärt der Gläubiger schriftlich, dass er im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurücktritt und seine Forderung stundet, bis alle anderen Gläubiger befriedigt sind. Ab dem 1. Januar 2023 muss der Rangrücktritt auch allfällige Zinsforderungen umfassen. Aus Sicht des Rangrücktrittgebers ebenfalls nachteilig ist, dass der Rangrücktritt während der Überschuldung nicht reduziert werden kann. Dementsprechend kommen als Darlehensgeber nur natürliche und juristische Personen in Frage, welche mit genügend finanziellem Polster unterwegs sind.

Schlussfolgerung

Neue Pflichten für den Verwaltungsrat sind vorliegend auch mit zusätzlichen Haftungsrisiken verbunden. Pflichtverletzungen (nicht handeln, zu spät handeln) können unter Umständen auch in Schadenersatzforderungen seitens der Gläubiger gegenüber dem Verwaltungsrat münden.

Hier geht es um die finanzielle Führung einer Gesellschaft, also eigentlich nichts Neues. Als Verwaltungsrat haben Sie dafür zu sorgen, dass ein für die Gesellschaft angemessenes Führungsinstrument, sprich Budget und Finanzplan besteht, sowie weitere wichtige Kennzahlen zur Steuerung des Geschäfts zeitnah und stufengerecht im Verwaltungsrat analysiert und besprochen werden und daraus Massnahmen ergriffen werden. Dieser Prozess ist entsprechend zu dokumentieren, bspw. mittels Protokollierung, Führen von Pendenzenlisten etc.
 


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