Der aktuelle Gerichtsentscheid

7. Oktober 2024

Zwischen dem Empfang einer Leistung und der Rechnungstellung kann eine gewisse Zeitspanne vergehen. Für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug stellt sich die Frage, ob auf den Zeitpunkt des Leistungsempfangs oder auf den Zeitpunkt der Rechnungstellung abgestellt werden soll. Das Bundesgericht hat in einem kürzlich ergangenen Urteil (Urteil vom 31. Juli 2024; 9C_756/2023) diese Frage auf eine doch eher überraschende Art entschieden.

Sachverhalt

Unter der Firma «B. Inh. A.» betreibt A. ein im Handelsregister eingetragenes Einzelunternehmen, das die Durchführung von Steuererstattungs- und Kindergeldverfahren in den europäischen Mitgliedstaaten bezweckt. Zudem war A. an der Kollektivgesellschaft mit der Firma «C. Inh. A. und D.» beteiligt. Diese Gesellschaft bezweckt die Vertretung europäischer Gastarbeiter in Steuer- und Rechtsfragen europaweit. Mit Schreiben vom 29. September 2020 teilte die ESTV A. mit, dass er per 1. Januar 2018 ins Register der Mehrwertsteuerpflichtigen aufgenommen wurde. Mit gleichem Datum hat die C. der A. Steuer- und Rechtsberatungsdienstleistungen für den Zeitraum vom 1. Quartal 2015 bis 3. Quartal 2020 in der Höhe von über CHF 10 Mio. (inkl. MWST) in Rechnung gestellt. C. wies darauf hin, dass der Rechnungsbetrag bereits durch entsprechende Vorauszahlungen beglichen wurde. Am 15. Oktober 2020 reichten A. und C. die MWST-Abrechnungen des 1. Quartals 2018 bis 3. Quartals 2020 für A. resp. des 1. Quartals 2015 bis 3. Quartals 2020 für C. ein. Im Begleitschreiben wurde darauf hingewiesen, dass A. die Beratungsleistungen bei C. eingekauft und dann an seine Kunden (im Ausland) weiterverrechnet hatte. Das Entgelt sei A. ursprünglich ohne Rechnungstellung belastet worden. Die Rechnung für sämtliche Leistungen für den Zeitraum vom 1. Quartal 2015 bis zum 3. Quartal 2020 wurden erst am 29. September 2020 ausgestellt.

Im Januar 2021 führte die ESTV bei A. eine Kontrolle durch und belastete ihm für das 1. bis 3. Quartal 2020 einen Steuerbetrag im Umfang von CHF 295''202 nach. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die Vorsteuer, welche auf den Leistungen lastete, die A. in den Jahren 2015 bis 2017 bezogen hatte. Die ESTV begründete dies damit, dass A. in diesem Zeitraum nicht im MWST-Register eingetragen war und eine Einlageentsteuerung auf den Beginn der Steuerpflicht von A. per 1. Januar 2018 ausgeschlossen sei, da die Leistungen im Zeitpunkt des Bezugs als verbraucht gelten. Auf Beschwerde hin hat das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) die Auffassung der ESTV geschützt.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hält fest, dass nach Art. 28 Abs. 1 MWSTG steuerpflichtige Personen im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit Anspruch darauf haben, gewisse Vorsteuern abzuziehen, darunter die ihnen in Rechnung gestellte Inlandsteuer. Der Anspruch auf Vorsteuerabzug entsteht gemäss Art. 40 Abs. 1 MWSTG bei Abrechnung nach vereinbarten Entgelten im Zeitpunkt des Empfangs der Rechnung. Die Auffassung der ESTV und des BVGer stehe offenkundig im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut. Es gebe keinen Grund, auslegungsweise von diesem klaren Wortlaut abzuweichen. Personen sollen dann keine Vorsteuern zum Abzug bringen können, wenn sie Eingangsleistungen nicht im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit verbrauchen oder wenn sie diese für die Erbringung von steuerausgenommenen Ausgangsleistungen nutzen. Für das Recht auf den Vorsteuerabzug kommt es nach Auffassung des Bundesgerichts nicht auf den Empfang der Leistung an, sondern der Zeitpunkt und der Umfang des Vorsteuerabzugs müssen vielmehr von der Nutzung bzw. vom Konsum der vorsteuerbelasteten Leistungen abhängen, und zwar über die gesamte Nutzungsdauer der betroffenen Lieferung oder der Dienstleistung betrachtet. Die Verhältnisse zwischen Leistungsempfang und Rechnungstellung sind aber nicht völlig belanglos. Wenn eine Person eine Leistung empfängt, bevor sie eine unternehmerische Tätigkeit aufnimmt, kann der Vorsteuerabzug – ungeachtet des Zeitpunkts der Rechnungstellung – von vornherein nur insoweit in Betracht kommen, als die Leistung bei Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit noch nicht verbraucht war.

Fazit

Dieses Gerichtsurteil eröffnet Unternehmen, die zwar ihre unternehmerische Tätigkeit bereits aufgenommen haben, aber aufgrund der Höhe des erzielten Umsatzes noch von der Steuerpflicht befreit sind und auf die Befreiung nicht verzichtet haben, die Möglichkeit, die Vorsteuern bei einer späteren Eintragung ins MWST-Register doch noch geltend zu machen. Allerdings müssen einige Bedingungen erfüllt sein, so z.B. der Umstand, dass über die bezogenen Leistungen noch keine Rechnungstellung erfolgt ist. Deshalb dürfte dies bei unabhängigen Unternehmen selten der Fall sein. Bei verbundenen Unternehmen wie im vorliegenden Fall, können die Voraussetzungen eher gegeben sein.

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